von Mareike Nieberding
Die gestundete Zeit
Es kommen härtere Tage.
Die auf Widerruf gestundete Zeit
wird sichtbar am Horizont.
Bald mußt du den Schuh schnüren
und die Hunde zurückjagen in die Marschhöfe.
Denn die Eingeweide der Fische
sind kalt geworden im Wind.
Ärmlich brennt das Licht der Lupinen.
Dein Blick spurt im Nebel:
die auf Widerruf gestundete Zeit
wird sichtbar am Horizont.
Drüben versinkt dir die Geliebte im Sand,
er steigt um ihr wehendes Haar,
er fällt ihr ins Wort,
er befiehlt ihr zu schweigen,
er findet sie sterblich
und willigt dem Abschied
nach jeder Umarmung.
(Ingeborg Bachmann, 1953)
Zur Zeit. Gedanken zur Zeit, Menschen in der Zeit, sich zu einer Zeit verhalten, kreatives Schaffen in Bezug auf eine Zeit, die in Stunden gepresste Zeit. Uwe Tellkamp beschwörte in „Der Turm“ den Geist der alten Zeiten, ohne dabei Gegenwart und Zukunft aus den Augen zu verlieren. In seinem neuen Roman „Die Schwebebahn“ durchschreitet er aufs Neue die Räume der Erinnerung und erhebt „das Schwebende [zum] Prinzip dieses Buches, zwischen Zeit und Raum, den Erinnerungen und der Geschichte”, so Tellkamp (05). Zeitlos und deshalb unweigerlich am Puls der Zeit die Derbies von A.P.C. (01), die kreativen Erzeugnisse des Hauses Céline seitdem Phoebe Philo sie verantwortet (03) und die quietschfidelen Entwürfe der Finnen von Marimekko (04), die seit den 1950er Jahren die moderne Wohnkultur mit Mustern und Farben bereichern und nun mit einem neuen Store auf der Alten Schönhauser Straße vertreten sind.
„Die Welt aus Schrift. Das 20. Jahrhundert in Europa und den USA“ ist momentan in der Kunstbibliothek im Kulturforum zu sehen und zeigt über 500 Plakate, Bücher, Zeitschriften, Schallplatten und Akzidenzdrucke, die alle ihrer Zeit zugewandt waren, von Zeit zeugen und in die Zukunft zeigen. Der Katalog zur Ausstellung ist im Verlag Walther König erschienen (02). Vielen vergleichbaren Verlagen und Liebhabern des bedruckten Papiers um einiges voraus sind die Schweizer von Nieves. Sie bieten monatlich kostengünstig neue Publikationen in einer App für Iphone, Ipad und Ipod Touch an und verleiten den Leser dadurch noch dringlicher zum Kauf der physikalisch erfahrbaren Variante auf Papier (07). Zwei Fliegen mit einer Klappe.
Mark Morrisroes Fotografie ist Kind einer Zeit, in der Rausch nicht mehr nur Stimulanz, sondern Produktionsbedingung, Thema, das Leben selbst war. Morrisroes radikale Ausbeute seiner selbst, fotografisch gebannt, zu sehen im Fotomuseum Winterthur bis zum 13. Februar (08). „This could be the end“ jauchzen die Kings of Leon auf ihrem neuen Album „Come around sundown“ (06). Es wäre für alle das Beste. Sei zur Zeit.